MARATHON DE PARIS
32. Edition - anno 06. April 2008
Der Vortag
Am vergangenen Samstag früh morgens - oder besser mitten in der Nacht ging es los.
Mein kleiner Citroen C1 wurde beladen mit Dachbox und allem was dazugehört und gegen 6 Uhr morgens machten mein Mann Marc, mein 17-jähriges Söhnchen Marcel und mein Schwager Manuel sich auf den Weg nach Paris. Achja ich fuhr dann auch noch mit.
Gegen Mittag wollten wir da sein um am Sonntag um 8:45 Uhr am Start des Paris Marathon zu stehen. Naja jedenfalls Manuel und ich, denn sowohl Marc als auch Marcel interessieren sich mehr für die Museen dieser Stadt.
Mein Freund Murphy war auch dabei. Allerdings fährt der immer getrennt und braucht keinen Platz im Auto. Dazu muß ich erklären, daß ich immer wenn etwas nicht klappt, diesen imaginären Murphy dafür verantwortlich mache. Nach Murphys Gesetz heißt es: Was schiefgehen kann geht auch schief. Und ohne Sündenbock verreise ich nicht gern.
Also Murphy tauchte das erste Mal kurz nach unserer Abreise auf, als wir das Ziel im Navi eingeben wollten. Das Teil hat ja ganz Europa drauf und Hurra auch Frankreich und da auch Paris, aber leider nicht das richtige Paris. Das ist nämlich nicht drauf .....
Naja nach langem hin und her programmieren wir einen Ort in der Nähe der auf der Karte noch drauf ist.
Es geht auch einigermaßen gut bis wir in Belgien tanken müssen. In einem Buch habe ich mal gelesen, das Beste an Belgien seien die Autobahnen, weil man schnell durchfahren kann. Naja wenn das das Beste an Belgien ist, dann bedeutet das nichts gutes für das Land. Gut die Autobahnen sind nachts beleuchtet, aber das ist angesichts der vielen Schlaglöcher auch dringend geboten. Diese Tank- und Raststätte in Belgien ist eine gigantische Baustelle. Ständig setzen die Schmutzfänger meines kleinen Autos irgendwo auf. Marcel nennt sie Dreckbleche. Bei den Wegen die man über diese Einrichtung nehmen muß handelt es sich durchgehend um Feld- und Behelfswege.
Weiter geht es an der Tankstelle. Dort dauert es erstmal ein paar Minuten bis der Tankwart sich bequemt die Zapfsäule freizuschalten. Auch danach ist er nicht besonders freundlich. Was wollen diese Ausländer auch seinen guten Sprit zu Schnäppchenpreisen von Euro 1,49 pro Liter hier abgreifen. Absolut verständlich daß der sauer ist. Auf der Toilette kämpfte ich wieder mit der sanitären HighTech des Wasserhahns.
Endlich liegt dieses Abenteuer hinter uns und wir sind in Frankreich. Dort ist zwar nicht alles besser, aber anders. Die Schlaglöcher auf der Autobahn fallen weg; dafür wirds kostenpflichtig. Wir fragen uns warum die Arbeitslosen in Frankreich ein rotes A auf dem Auto haben. Ist das nicht Stigmatisierung ? Die spinnen die Gallier.
10 km vor Paris hört dann die Karte des Navi tatsächlich auf. Gut ich hatte schon einen anderen Laufbericht gelesen und wußte wo wir hinwollten. Als erstes galt es zur "Marathon Expo" zu fahren und die Startunterlagen abzuholen. Die Bestätigungen und das ärztliche Attest in englischer Sprache (sehr wichtig) hatten wir dabei. Wir fuhren also in den Pariser Süden am frühen Nachmittag und kamen sofort in einen kleinen Stau. Die Expo war gut zu finden, aber Parkplätze gab es nicht. Das Parkhaus das wir dann anfuhren hatte dafür kaum freie Parkplätze und Preise von vier Euro die Stunde.
Vor der Messe gab es einen extra für Läufer abgeteilten Eingang. Entgegen dem Laufbericht stand dort keine Schlange (es war auch erst 14 Uhr) sondern es ging zügig voran. Genau kontrolliert wurde bei der Ausgabe und so mußte jeder auch einen Ausweis vorlegen, am besten den Eigenen. Weiter ging es zur Tee-Shirt*-Ausgabe und dann zur Marathonmesse.
(*gallische Schreibweise, man trägt die Dinger wohl nur zum Tee)
Analog zu Amsterdam hatte ich hier gehofft einen neuen Wettkampfdress für kleines Geld erwerben zu können; Manuel wollte nach günstigen Laufschuhen schauen. Bei der Durchsicht die erste Enttäuschung. Schnäppchen gab es keine. Zwar waren alle Hersteller vertreten, aber jeder verkaufte zu normalen Ladenpreisen. Dafür gibt es hier diese Laufröckchen die ich auch beim Marathon hin und wieder sehen sollte. Na das ist nichts für mich; bei jungen Mädels ganz nett aber bei Laufomas wie mir hat das wohl eher was von "Tamara die tanzende Fleischwurst". Na dafür was hier geboten wird muß ich nicht zur Marathonmesse. Die zweite Parkhaus-Stunde hat sich schonmal nicht gelohnt.
Ab zum Hotel. Mein Mann, seines Zeichens Sparfuchs, hatte etwas außerhalb im Norden in St. Denis ein "Formule One" Hotel gebucht. Das soll noch günstiger sein als Etap. Na ganze 3 Euro günstiger, aber wie sich schnell herausstellte auch grottig. Es sei denn man steht auf Gemeinschaftserlebnisse bei der Notdurft und beim Duschen, denn beides gab es nicht auf dem Zimmer.
Schon die Eingabe des Türcodes erforderte erweiterte Safeknacker-Kenntnisse. Aber die technischen Herausforderungen die auf mich in Paris noch zukommen sollten, warfen bereits ihre Schatten voraus. Murphy war gut vorbereitet.
Aufgrund der Verkehrslage beschlossen wir mit der Metro in die Stadt zu fahren. Paris die Stadt der Liebe, kann man doch am besten mit der romantischen Metro entdecken. Die nächste Metrostation war etwas weit weg, weshalb wir eine S-Bahn-Station ansteuerten, die in fünf Minuten fußläufig zu erreichen war. Und dort stand Murphy das erste Mal. Selbstverständlich will auch die Pariser Verkehrsgesellschaft Geld für ihre Fahrausweise. Aber einen offenen Schalter haben die nicht und wie sich später zeigen sollte, mögen die Pariser keine Automaten die Scheine annehmen. Vielleicht beherrschen sie auch diese Technik nicht oder Scheine sind ihnen zu unsicher.
Nachdem wir nach langem Hin und Her endlich unsere Fahrkarten hatten, hatte ich so meine Schwierigkeiten mit den Durchgängen. Man steckt die Fahrkarte da in einen Schlitz, nimmt sie hinten wieder heraus und dann öffnet sich irgendwo ein Törchen. Nicht bei mir ! Die Anderen sagen mir noch ich muß irgendwelche Pfeile beachten die da blinken sollen und und und. Mittlerweile habe ich schon eine Schlange verursacht. Aber nach zwei drei Versuchen schaffte ich das auch und als es zum ersten Mal spontan klappte bekam ich sogar Beifall.
Romantisch sind diese öffentlichen Verkehrsmittel übrigens gar nicht. In Reiseführern steht man soll unbeteiligt gucken und das versuchen auch alle. Aber manche starren auch penetrant wenn sie Ausländer bemerken und die bemerken sie meistens. Besonders interessant und irritierend wirken wir auf so manchen Angehörigen der Unterschicht, der Mangels einer Wohnung in die S-Bahn eingezogen zu sein scheint. Naja ich würd auch blöd schauen, wenn Leute in mein Wohnzimmer einsteigen, sich setzen und nach ein paar Minuten wieder verschwinden. Dazu sind sowohl die S-Bahnen als auch die Metro meist sehr überfüllt und man bekommt keinen Sitzplatz. Dafür ist das Netz sehr gut, man kommt eigentlich überall hin.
Wir steigen unter dem Triumphbogen aus und gehen die Champs-Élysées ca. einen Kilometer herunter und besichtigen schon einmal den Beginn der Strecke. Schön es geht bergab sehen wir. Ich befürchte, daß man später auch irgendwo wieder herauf muß und das sollte sich bewahrheiten. Aber die Fülle von Menschen, die Beleuchtung und das geschäftige Treiben in dieser Stadt um diese Zeit gegen 22 Uhr, das hat schon was. Das Kribbeln in mir und die Vorfreude wird größer.
Das Wetter für morgen ist schlecht vorausgesagt; viel Regen und kalt. Murphy hat Duschen organisiert und grinst schon vom Himmel. Ich friere jetzt schon .... naja das wird schon.
Der Renntag
Morgens um halb sechs klingelt mein Handsprechtelefon. Ich hatte es programmiert weil wir um 7 Uhr zur S-Bahn wollen und vorher frühstücken. Frühstück gibt es ab halb sieben. Vorher etwas frisch machen ... naja ... ich werd langsam nervös; mix mir meinen Maltodextrin-Basica Drink den ich noch eine Stunde vorher trinken will und pack mir drei Hammergels und zwei Mausespeck in die kleine Tasche. Na das sieht wie ein Gesäßgeschwür aus - egal. Das Zeug schmeckt fast so fies wie Ackerschachtelhalm; nur süßer. Na wenns denn hilft ....
Murphy ist wieder da .... Sonntags gibt es Frühstück erst ab 7:30 ! Na klasse; da muß auch ne Banane reichen. Mein Sparfuchs überlegt wie er von dem Hotel das Geld wiederbekommt. Ich denke noch wie kann man sich so nen Mist antun; mitten in der Nacht aufstehen und eine Entfernung rennen für die Autos erfunden wurden ... bescheuert. Aber ich bin heiß. Manuel kommt rein und ist auch nervös. Ich setz mir meinen MP3 Spieler auf und wir gehen zur Bahn. Auf dem Weg wippe ich im Takt; ich höre "Don't stop me now" -Queen ist geil zum heißmachen.
Mein Mann verbietet mir in der Bahn weiter zu feiern. Ein farbiger Mitfahrer gegenüber ist äußerst irritiert. Naja ich bin ja auch bekloppt. Eine Stunde vor dem Start sind wir wieder am Triumphbogen. Vorher trafen wir beim Umsteigen schon immer mehr Läufer. Gegen den Läuferstrom erst Richtung Ziel, das ca. 1 km vom Start entfernt ist. Die Wanderung steht mir nach dem Zieldurchlauf auch nochmal bevor und wird den Marathon auf 43,2 km verlängern. Da hinten auf dem Weg zum Ziel vermuten wir die Kleiderbeutelabgabe.
Manuel und ich wollen den Sack abgeben weil Marc und Marcel das Zeug nicht in den Louvre schleppen wollen. Es ist sehr kalt. Bis zum letzten Moment behalte ich die Jacke an. Gottseidank aber kein Regen, dafür etwa 3 Grad. Macht nichts; mir macht Kühle nichts. Zur Toilette könnte ich wegen der üblichen drei Nervositätstropfen. Ich lasse es. Ein Dixieklo und eine Schlange. Später sehe ich daß kurz hinter dem Ziel die meisten Dixies stehen. Was sollen so viele Klos hinter dem Ziel ? Da hat man doch alles ausgeschwitzt.
Naja Manuel stellt sich an das Dixie-Pissuar an. Was haben Männer es doch gut. Andere seh ich von weitem die Prachtstraße zur Urin-Allee entweihen. Wir drängen uns Richtung Ziel und sehen die Kleiderabgabezelte. Mist nur noch 20 Minuten und überall Schlangen. Ich glaub es nicht was die da tun. Die schreiben die Startnummern der Läufer auf kleine Zettel und binden sie an die Beutel. Das kann man doch vorbereiten. Naja dann geht es doch sehr schnell.
Aus Egmond habe ich noch einen Poncho. Hier in Paris gab es auch einen aber den bewahre ich auf. Der fetzt doch in Berlin mehr. Immer schön aus der Reihe tanzen.
Nun aber schnell zum Startbereich. Das Gedränge wird immer größer. Manuel muß unbedingt nochmal dehnen. Wofür denn das ? Da verletzt man sich doch höchstens. Weiter gehts. Startzone grün; 4 Stunden. Naja ich hab halt Tagträume - besonders wenn ich das Meldeformular ausfülle. Wieder ein Stau. Murphy arbeitet mit den gallischen Organisatoren zusammen. Ein ganz schmaler Durchlass und obwohl es nur noch 5 Minuten bis zum Start sind, kontrollieren zwei Ordner in aller Ruhe Läufer für Läufer.
Dann endlich drin. Manuel hat auf seinem T-Shirt "DLRG Nordkirchen" und ein schwarz-rot-goldenes Schweißband. Ein anderer Deutscher spricht ihn an. Er sagt hier starten nur 900 Deutsche; 20 davon kenne ich schon. Dann ruckt es in der Menge. War das der Startschuß ? Gehört hat man nichts. Richtig es ruft jemand über den Lautsprecher "Enjoy your Race". Langsam schiebt sich die Menge zusammen. Es ertönt Vangelis "Chariots of Fire". Ich denke an "Die Stunde des Siegers". Mein Gott das ist Gänsehaut pur. 30000 schieben und der Triumpfbogen im Rücken auf der berühmtesten Einkaufsstraße Europas. Manuel sagt, wenn ihm vor einem halben Jahr jemand gesagt hätte, daß er heute hier steht, hätte er es nicht geglaubt. Wir steigen über hunderte von Plastikbeuteln und liegengelassenen Kleidungsstücken.
Es geht ganz langsam vorwärts. Der aufblasbare Startbogen ist 10 Meter vor uns, aber noch immer sieht es so gar nicht nach laufen aus. Dann sind wir über der roten Zeitnahmeschleife. Und ich glaube es nicht; es ist als erwachen die Franzosen aus einer Starre. Sofort und innerhalb weniger Meter gehen sie vom Schleichschritt direkt ins Wettkampftempo über. Alle. Nur keine Kraft vergeuden. Die spinnen die Gallier !
Es geht locker die Champs-Élysées hinunter. Wir orientieren uns an einer Läuferin die 4:20 auf de Rücken stehen hat. Die ist richtig, sage ich. Ich bin selbst nicht sicher ob ich 6:10 oder 6:15 pro km angehen will. Da ist schon der erste 6:10. Wow fühlt sich das leicht an. Dann sind wir schon unten am Place de la Concorde. Da wird es wieder enger. Es ist immer noch die ganze Straßenbreite voller Läufer. Hinter dem Knick ist schon km 2 - 6:18 oh etwas langsamer. Ich laufe immer noch mit der Plastiktüte. Manuel ist irgendwo weg. Ich kann ihn hinter mir nicht sehen. Oder ist er davor ? Immer wieder Leute am Rand die jubeln. Die nimmt man gar nicht wahr bei der Masse. Es geht noch absolut locker. 5 km passiere ich bei knapp 31 Minuten. Von Manuel keine Spur. Bei km 5 Place de la Bastille gibt es einen Verpflegungsstand. In Paris gibt es 0,25 Liter Wasserflaschen die verschließbar sind. Das ist praktisch, weil man sie ein oder zwei km mitnehmen kann. Außerdem kann ich das Gel darin auflösen. Aber damit fange ich bei km 10 erst an. Ich halte mich links und nehme nichts. Das Gedränge ist jetzt groß.
Die Kilometerzeiten schwanken ständig um ca. 30 Sekunden. Ich merke daß doch einige leichte Wellen im Kurs sind. Die Straße steigt leicht an und wir sind immer noch in der Stadt. Inzwischen habe ich meinen Plastikponcho abgeworfen, weil ich merkte daß ich zu schwitzen beginne. Das Wetter ist phantastisch. Kühl und ohne Wind und Regen. Oh da ist Manuel wieder. Er läuft in Bundeswehrtretern - sehr respektabel aber wohl nicht klug. Seit Weihnachten bereitet er sich erst gezielt vor. Bei der Winterlaufserie in Hamm war er immer weit vor mir.
Er sagt er wäre pinkeln gewesen und hätte dann wieder aufgeschlossen. Naja er läuft etwas ungleichmäßig wirkt aber auch noch locker. Bis Kilometer 10 laufen wir zusammen. Da der nächste Verpflegungsstand. Ich nehme die erste Flasche und fingere nach dem Gel in meiner Tasche. Ich greife "Apfel-Zimt". Wer denkt sich sowas aus ? Ist das ne Art Weihnachtsgel ? Während des Laufs die Flasche unter dem Arm, das Gel hineingedrückt, zugeschraubt und dann 500m schütteln. Der erste Schluck ...bääähhh ... das schmeckt ja garnichtmal so gut. Mir fällt der Spruch ein "wenn Gott eine Frau wäre ...." ähm hier gilt ..."wenn Gott ein Läufer wär hätte er gemacht, daß Gels vernünftig schmecken.
Das Läuferfeld ist immer noch sehr sehr dicht. Es herrscht ausgelassene Stimmung - noch ! Viele unterhalten sich. Gelegentlich Zuschauer. Ach ist das schön; ich genieße den Lauf. Es geht leicht bergab und ich klotze zwei Kilometer um die "nackten 6" hintereinander. Danach erschrecke ich mich immer und nehme den Schritt etwas zurück. Die Atmung ist kaum erhöht. Manuel ist wieder weg. Keine Ahnung wo ich den wieder verloren habe. Langsam geht es aus der Stadt heraus. Ich weiß jetzt kommen 10 Kilometer in Parklandschaft. Etwas langweilig und keine Zuschauer.
Chateau de Vincennes, ein historisches Gemäuer ist das einzige Highlight dieser Gegend. Zuschauer gibt es hier keine, nur ein paar teilnahmslose Touristen. Ohne die große Läuferschar wärs hier langweilig. Ich denke noch das muß im letzten Jahr wirklich ätzend gewesen sein hier bei 30 Grad. Da wär ich schon fertig gewesen so schlecht wie ich mit Hitze klarkomme. In diesem Jahr sollte es nur 850 Aussteiger geben; im Letzten waren es fast zehnmal soviel.
Langsam nähere ich mich der Halbmarathon-Marke. Ich sehe schon das aufblasbare Portal. Dann geht es über die Zeitmess-Matten. Die erste Meldung geht ans Handsprechtelefon von Marc. Wir hatten vorher diesen Service des Veranstalters gewählt. Bei HM, bei 30 km und im Ziel kommt eine Meldung an die Angehörigen. Ich bin glücklich, noch locker und knapp unter 2:11. Das gibts ja nicht; soviel "Luft" noch auf viereinhalb Stunden. Kurz dahinter ein Verpflegungsstand. Ich schnappe mir mein zweites Wasser und wieder kommt die Gel-Prozedur. Diesmal Espresso. In kleinen Schlucken brauche ich zwei Kilometer dafür.
Auch hier stehen noch wenig Zuschauer. Ich laufe wieder mal zwei Kilometer unter 6 Minuten. Scheint wieder bergab zu gehen. Schwer ist die Strecke nicht, aber ich denke Haile würde sie trotzdem nicht für einen Weltrekord auswählen. Von Manuel immer noch keine Spur. Ist er vor mir ? Er geht ja normalerweise immer recht schnell an. Bei km 25 nehme ich den ersten Mausespeck und schieb ihn mir an die Wange. Er sollte mir bis km 32 Freude machen. An der Stelle geht es nochmal am Place de la Bastille vorbei. Die eine Schleife ist geschafft. Hier stehen wieder viele Zuschauer. Jetzt sind es etwas weniger Läufer und einige Zuschauer lenken sich dadurch ab, daß die von weitem die Vornamen lesen die auf den Startnummern stehen und mir dann zurufen: "Allez Allez Daniela". Wenn es geht quittiere ich das mit einem Lächeln. Wenn sie eine Reaktion merken kommt noch etwas zurück wie: "Tres bien". Das ist schön. Eine tolle Idee mit den Vornamen auf der Nummer. Das sollte Pflicht werden. Allerdings bringt das meist in Deutschland nichts. Da regt sich nichts wenn man den Läufer nicht persönlich kennt. Die Gallier sind halt anders; die tun was sie wollen, sind lockerer und emotionaler. Sie rufen und feuern an. Einfach Klasse.
Jetzt geht es ein paar Kilometer direkt an der Seine entlang. Links sitzen Zuschauer gelegentlich auf einer Mauer und rufen fast jedem zu. Das ist toll. Wie lange mögen die schon ausharren ? Ich schaue nach dem Eifelturm aber seh ihn noch nicht. Es geht minimal schwerer und es sind auch mal Kilometer um die 6:30 dabei. Aber eigentlich noch locker und voll im Fahrplan. km 30 ist kurz vor dem Eifelturm. Ich rechne; wenn ich da so 3:08 habe ist das immer noch bombig. Wie wird nur die vierte Stunde werden ? Ab dreieinhalb Stunden ists für mich Neuland. So lange bin ich im ganzen Leben noch nicht gelaufen, denn in meiner ersten Karriere hatte ich keinen Marathon über 4 h. Es ist beruhigend daß ich kaum überholt werde bis hierhin.
Ich frage mich sowieso wo mein Freund Murphy die ganze Zeit bleibt. Bestimmt hat der sich noch eine besondere Überraschung ausgedacht. Statt weiter an der Seine entlang geht es jetzt in einen langen Tunnel. Dafür erstmal schön bergab. Es rollt also gut, und die Läufer machen einen Riesenlärm was an den Wänden widerhallt. Macht ein absolutes Gänsehautfeeling. Dafür ist vom schönen Paris wieder nichts zu sehen denn der Tunnel geht fast 2 km.
Nach dem Ausgang ein kleiner Anstieg. Dann bald km 30. Wieder ein Wasserfläschchen und das letzte Gel. Ich weiß gar nicht was das sein soll. Irgend eine Beere. Meine Durchgangszeit 3:08:30 h - perfekt. Es geht noch aber wird schon etwas schwerer. Meine Mitläufer keuchen auch schon zunehmend. Jetzt geht die nächste Mail an meinen Mann. Der wird staunen.
Kurz darauf erreichen wir ihn: "Tour Eiffel"; das Wahrzeichen der Stadt. Wieder kribbelt es. Wie haben wir danach gelechst. Jetzt sieht man ihn nur kurz auf der linken Seite und schon geht es weiter. Es sollte das letzte Highlight vor dem Ziel bleiben.
Die letzten 10 km sind, gelinde gesagt, unspektakulär. Ich trinke das aufgelöste Gel wieder schlückchenweise; einmal verschlucke ich mich. Diesmal brauche ich bis km 33 bis ich die Flasche wegwerfe. Es wird immer schwerer. 33 war der erste Kilometer über 7 Minuten. Pünktlich zu dem Zeitpunkt, der trainingsmäßiges Neuland ist. Ich rechne .... Wenn ich es schaffe nur knapp unter 7er-Schnitt zu laufen schaffe ich es unter viereinhalb Stunden. Super ! Ich gebe Gas und laufe wieder 6:30.
Leider merke ich dabei daß meine Oberschenkel die ich bereits seit km 30 spüre immer mehr Schwierigkeiten ankündigen. Sie wollen dicht machen. Die Strecke führt wieder aus der Stadt heraus. Es geht bergauf. Im rechten Oberschenkel spüre ich eine "alte Kriegsverletzung", die ich mir 1987 bei meiner Bestzeit meiner "Vor-Reset-Karriere" in Duisburg bei km 30 zugelegt hatte. Das ist wohl ne Schwachstelle. Warum geht denn sowas nicht auf "reset" zu stellen ? Mist.
Da vorn ist km 35 und da stehen sie ....... Murphy und der Mann mit dem Hammer. Ach Du Sch..... Murphy grinst in seiner altbekannten Art. Danach gab es keinen Kilometer mehr unter 7 Minuten. Im Gegenteil ich will gehen und beschließe mir ein neues Ziel auszugucken. Die viereinhalb Stunden hake ich ab. Im Laufforum hat jemand geschrieben, wenn man merkt, daß nach km 30 das Ziel nicht mehr erreicht werden kann Tempo zurücknehmen und nicht quälen.
Ein Anderer kam mir ins Gedächtnis der mein Ziel für unrealistisch hielt und schrieb; wenn Du es versuchst wirst du sehr viel gehen. Ja das ist mein Ziel schoss es mir durch den Kopf. Ich hab noch keine einzige Gehpause; nichtmal beim Trinken und ich werde auch keine machen. Ich laufe durch egal was passiert. Ich bin so gestrickt daß ich sowas brauche. Murphy und der Hammermann saßen auf meinem Rücken und schlugen mit aller Kraft darauf. Ich dachte Ihr könnt mich mal. Die Strecke bot keine Ablenkung. Wie können die Gallier sowas machen ?
Da überholen mich zwei Männer. Der eine ist normal gekleidet, der Andere (Murphy !) hat normale Straßenklamotten an und hat eine Lederjacke wie ein Spaziergänger über die Schulter geworfen. Was ist denn DAAAAAASSSS ??? Ich glaubs ja nicht. Hab ich Halluzinationen oder hab ich den König der gallischen Phallusvergleicher gesehen ? Ich hab nicht gesehen ob der eine Startnummer hat.
Man sagt der Marathon beginnt erst bei km 35. Genau so ist es. In meiner ersten Karriere hätte ich nie geglaubt was sich in diesem Leistungsbereich ab km 30 bis 35 für Dramen abspielen. Immer mehr gehen um mich herum, zum Teil mit schmerzverzerrten Gesichtern; gut Einige sind auch noch gut drauf und ziehen locker an mir vorbei. Aber besonders an den Verpflegungsstellen gehen jetzt fast alle. Ich nicht ! Bei km 30 war ein Massagezelt und da war reichlich Betrieb. Ich hab auch ein wenig Angst Krämpfe zu bekommen, weil es dann vorbei ist. Das hatte ich schon mal während wesentlich kürzerer Trainingsläufe. Na man soll Probleme nicht herbeidenken.
Zu allem Überfluß schickt Murphy zu diesem Zeitpunkt noch den 4:30 h - Zugläufer mit der ganzen Gruppe an mir vorbei. Ich überlege einen Moment. Dann denke ich, die sind schnell wie Haile und schleiche frustriert weiter.
Dann bei km 38 oder so ein Rotweinstand. Training für Medoc ? Nein das wird nicht das günstigste sein. Meine Zeiten nähern sich der 8-Minuten-Grenze aber ich laufe immer noch. Den Rest schaffe ich noch .. habe ihn sooo oft geschafft im Training.
Nach empfundenen 2 weiteren Stunden bin ich dann bei km 40 durch und denke wo haben die bloß ihre Millionenstadt ? Immer noch keine Zuschauer; irgend ein Ausflugstümpel wird grad umrundet. Dafür hab ich so gar keinen Blick mehr.
Dann der letzte Kilometer. Die Beine werden schummriger und schummriger aber ich laufe immer noch. Mich überholen zusehends andere Läufer. Ich sehe das Ziel immer noch nicht. Dann ganz plötzlich 500 m vor dem Ziel Zuschauer rechts und links, aber kein Triumphbogen, kein Ziel. Ich schleppe mich nochmal 200m links um eine Kurve und dann sehe ich ihn: MEINEN Triumphbogen. Ich bin gleich Marathonia. Mit Brief und Siegel. Ich beschleunige um gewaltige 10 Sekunden pro Kilometer. Ein Endspurt für Rennschnecken. Eigentlich geht nichts mehr aber mir kommt trotzdem noch ein Grinsen auf die Lippen. Hinter den Zielfotografen schimmert es rot. Blöd nur ein Werbebanner auf dem Boden. Erst 10 Meter dahinter ... das Ziel.
Ich bin da ......... ich denke an das Forenzitat .....".... wirst Du sehr viel gehen". Der geistige Stinkefinger ist voll ausgefahren. Und so glücklich bin ich. Meine Endzeit: 4 Stunden 34 Minuten und 38 Sekunden.
Ziel knapp verfehlt aber geschafft.
Der Weg zurück zum Treffpunkt mit meinem Schatz am Triumphbogen erweist sich als Marathonverlängerung. Einen ganzen Kilometer muß ich noch schleichend zurücklegen. Unterwegs will ich mich hinsetzen, was aber nicht geht. In halber Hocke signalisieren mir meine Oberschenkel Schmerzen die mir Sterne in die Augen treiben.
Gut dann - da vorne sind die Dixies da sperre ich erstmal Murphy in einer Kabine ein und schleiche weiter. Glücklich falle ich bald darauf Marc in die Arme. Er hatte einen schönen Tag im Louvre und hat die alten Meister gesehen. Ich hatte einen schönen Tag auf der Straße und hab den alten Hammermann gesehen.
Na in Berlin wird es besser. Manuel kam dann nach 5:09 Stunden ins Ziel. Er hatte die Gehpausen und viel früher Probleme. Vielleicht kauft er sich jetzt mal vernünftige Laufschuhe. Aber stolz sind wir beide.
Paris ist ne tolle Stadt auch wenn die Gallier spinnen. Im nächsten Jahr müssen sich die Römer daran messen lassen.
Passt doch !
Die Jammerei wegen der Schmerzen, besonders an den vielen Treppen, die Murphy schnell noch auf den gallischen Metrobahnhöfen eingebaut hat, erspare ich mir. Ich bin schließlich Marathonläuerin in kein Weichei !